Wir gehören doch alle zusammen, oder?

Die Geschichte von Didar zu schreiben hat mich wirklich herausgefordert. Es fällt mir schwer in Worte zu fassen, was er mir erzählt hat. Ich kenne Didar durch meine Arbeit nun seit fast zwei Jahren. Schon nach unserem ersten Treffen war mir klar, dass er seinen Weg gehen wird. Als er mir jedoch sagte, er wolle Kameramann werden und Filme drehen, war ich zuerst unsicher, ob das ein realistischer Wunsch ist. Nachdem ich seine Geschichte kenne, weiß ich, dass es seine Berufung ist.

Zum Interview treffen wir uns in Ravensburg in einem Café. Es ist sehr heiß und der Himmel sieht nach Gewitter aus. Wir setzen uns trotzdem nach draußen – was wir später noch bereuen werden. Wir beginnen die Geschichte ganz am Anfang. Didar ist 23 Jahre alt und Jeside. Er lebte mit seiner Familie in Shingal im Nordirak. Die Jesiden sind eine ethnisch-religiöse Minderheit die hauptsächlich im Nordirak, Nordsyrien und der östlichen Türkei leben. In Deutschland lebt die größte Gemeinschaft von Jesiden außerhalb des Nahen Ostens mit rund 200.000 Menschen. Seit August 2014 sind die Jesiden einem andauernden Genozid ausgesetzt. Der Islamische Staat überfiel die Shingal Region und tötet laut Schätzungen der UN rund 5.000 Jesiden – an nur einem einzigen Tag. Tausende von Frauen wurden versklavt und verschleppt. Über 400.000 Menschen wurden aus der Heimat vertrieben – einer davon war Didar.

Wir waren schon im Irak Flüchtlinge – meine Heimatstadt war komplett zerstört. Über ein Jahr haben wir in einem Flüchtlingslager gelebt und gehofft, wieder zurück zu können

Didar

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Didars Cousin ging zurück nach Shingal, nachdem die Stadt befreit wurde. Als er ins Flüchtlingslager zurückkehrte fand er nur ernüchternde Worte: „Nicht in 1.000 Jahren können wir diese Stadt wiederaufbauen“. Der Entschluss stand fest – eine Zukunft im Irak gab es für Didar und seine Familie nicht mehr. Nach über einem Jahr im irakischen Lager, musste Didar Abschied nehmen. Man könnte meinen, das fällt nicht schwer. Doch Didar hatte im Lager Freunde gefunden, die zu Familie wurden. „An meinem letzten Abend haben sich alle meine Freunde in einem Café versammelt und ich musste sagen, dass ich jetzt gehen werde. Wir haben alle geweint!“.

Didar kam am 1. Dezember 2015 mit elf weiteren Familienmitgliedern in Deutschland an. In Passau, der Ort an dem ich zu diesem Zeitpunkt studiert habe. Wenn ich an die Bilder zurückdenke, als beinahe täglich hunderte Menschen zu Fuß über die Grenze von Österreich nach Deutschland gelaufen sind, bekomme ich noch heute Gänsehaut. Es folgten für Didar und seine Familie zahllose Stationen quer durch Deutschland. Von Unterkunft zu Unterkunft. Mit den Mitbewohnern gab es öfters Probleme – teilweise waren die Konflikte so heftig, dass die Personen getrennt werden mussten. Nach einem Jahr kommen die Murads endlich an – in Friedrichshafen am Bodensee.

Seinen ersten Fotoapparat bekam Didar von seinem Vater – schon im Irak. „Ich habe angefangen, andere zu beobachten, wenn sie Bilder machen. Eines Tages habe ich einen Fotografen getroffen und ihm meine Bilder gezeigt. Er war überrascht und meinte, ich habe ein besonderes Gefühl für das richtige Bild“.

Als Didar beginnt über seine Erfahrungen mit der Kamera zu sprechen, fängt er an zu strahlen. Man kann spüren, dass er seine Leidenschaft gefunden hat.

Eine Geschichte ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. „Als wir im Lager im Irak gelebt haben, taten mir besonders die vielen Kinder leid, die dort schwer traumatisiert gelebt haben. Sie konnten nicht mehr lachen. Aber sollten Kinder nicht immer Grund haben zu lachen? Ich habe begonnen Fotos von den Kindern zu machen und sie ihnen gezeigt. Das bereitete ihnen so große Freude, dass sie irgendwann wieder lächeln konnten“.

An dieser Stelle müssen wir das Interview abbrechen – es beginnt in Strömen zu regnen. Wir schaffen es gerade noch alles zusammenzupacken und schnell das Bild von uns zu machen. Nass vom Regen und unter irgendeinem Vordach. Vielleicht schaffen wir es ja noch irgendwann ein richtig schönes Bild von uns zu machen, was meinst du, Didar?

Die restlichen Fragen beantwortet Didar mir per Sprachnachricht.

Ich höre mir diese Nachricht immer und immer wieder an und kann kaum glauben, was er für schöne Sätze gefunden hat.

Was er gerne filmen würde, habe ich ihn gefragt. „Menschen – ganz klar. Am schönsten sind die alltäglichen Geschichten. Die Geschichten über Menschen – glückliche, gute, traurige, aber schöne Geschichten. Das Leben eben.“ Er beschreibt eine Szene, in der man eine Kirche, eine Moschee und verschiedene Tempel sehen kann. „Wir gehören doch alle zusammen, oder? Egal welche Religion und welche Herkunft. Kinder spielen doch auch alle gemeinsam.“ Ich lasse dieses Bild auf mich wirken. Es berührt mich, dass Didar es so sehen kann – nachdem er aufgrund seiner Religion, seiner ethnischen Herkunft fast sein Leben verloren hätte und sein Land verlassen musste. „Ich wünsche mir von meinen Mitmenschen, dass wir aufhören zu hassen. Denn ich kann Hass nicht verstehen. Wieso können wir einander nicht einfach helfen?  Egal ob Flüchtlingen, Obdachlosen, Alten oder Kranken – das ist unsere Verantwortung.“

Das alles hört sich so einfach an. In der Realität finden wir doch leider oft genau das Gegenteil. Umso mehr freut es mich für Didar, dass er so großes Glück hatte. Er konnte gerade ins zweite Ausbildungsjahr als Mediengestalter für Bild und Ton zu einem Fernsehsender nach München wechseln.  Wir konnten ihm mit Hilfe von Kontakten sogar ein bezahlbares Zimmer vermitteln – eine pensionierte Ärztin bietet in ihrem Haus in bester Lage in München Wohnraum für junge Menschen an, die sonst kaum eine Chance haben etwas zu finden. Das klingt nach einem tollen Neuanfang.

Was würdest du gerne an deinem Leben ändern?

Meine letzte Frage an Didar

„Ich möchte mich mehr trauen & sagen was ich fühle. In letzter Zeit war ich oft einsam – ich bin nicht alleine, es gibt viele Menschen um mich herum. Aber trotzdem fühle ich mich manchmal einsam“. Nach diesen Worten muss ich kurz innehalten. Ich verstehe was Didar meint. Und ich kann mir gut vorstellen, dass es für viele Geflüchtete schwer ist, verstanden zu werden und Anschluss zu finden.

Lieber Didar, ich wünsche dir von Herzen alles Gute für deinen weiteren Weg. Ich bin mir sicher, deine Zukunft wird großartig sein. Ich danke dir für deine Offenheit. Ich habe durch dich sehr viel gelernt – über die Geschichte der Jesiden und über den Mut seinen eigenen Weg zu gehen.

Weißt du Didar, was du später irgendwann einmal verfilmen solltest?
Dein Leben.