Lange Zeit wollte ich einfach nur weg. Raus aus dieser erdrückenden Enge. Irgendwie war alles so klein, unspektakulär und alltäglich. Die Vorstellung von einer großen, aufregenden und bunten Stadt erfüllte mich mit Sehnsucht. Hierbleiben und irgendwann am Samstag auf dem Wochenmarkt Gemüse kaufen – genauso wie alle anderen Einwohner dieser Stadt? Niemals. Aber das erste was ich vermisst habe, als ich in einer anderen Stadt gelebt habe, war dieser spießige Wochenmarkt. Auf dem man die Verkäufer schon kennt, immer wieder jemandem „Hallo“ oder „Schönes Wochenende“ zurufen kann. Die enge Markstraße, durch die sich gefühlt die ganze Stadt schiebt. Um ehrlich zu sein habe ich noch viel mehr ganz schrecklich vermisst. Aber das wurde mir erst klar, als ich viele Jahre später wieder hier her zurückgezogen bin. Es ist nicht so, dass ich nicht immer wieder von der großen Stadt träume.
Für den Moment habe ich aber meine Heimat gefunden. Sie ist vielleicht nicht besonders kosmopolitisch. Am Puls der Zeit ist sie irgendwie auch nicht. Die Menschen sind vielleicht oft etwas engstirnig, wenn die Mülltonne frühestens am Abend bevor sie abgeholt wird rausgestellt werden darf. Ein Skandal, wer die schönen, sauberen Straßen durch eine Mülltonne verschandelt. Es herrscht einfach ein gewisser Konsens darüber wie die Dinge gemacht werden. Es gibt ungeschriebene Gesetze, an die man sich eben hält. Für mich als sehr freiheitsliebenden Menschen oft sehr gewöhnungsbedürftig. Aber alle diese teilweise absurden Regeln, Gewohnheiten und Eigenarten dieser Stadt haben mir vor gut drei Jahren sehr viel Halt gegeben. Nach einer sehr schwierigen Trennung, nach einer sehr schwierigen Beziehung, ohne Wohnung, ohne Job – hat mich die Welt hier in meiner Heimatstadt wieder ausgespuckt. Damals fühlte ich mich das erste Mal in meinem Leben wirklich vollkommen perspektivlos. Ich wusste überhaupt nicht mehr wie und wo mein Leben weitergehen soll.
Und ausgerechnet hier habe ich wieder ein bisschen Hoffnung gefunden.
Da war eben dieser Wochenmarkt, den ich so gut kenne. Da waren diese Straßen, durch die ich schon vor Jahren gegangen bin. Dieser Ausblick in Richtung Berge und See. Und da waren diese Freunde, die mich schon seit der Schulzeit kennen. Mein Gefühl hat mir sofort gesagt, dass ich hierbleiben muss. Nein, dass ich hierbleiben will. Vielleicht ist es nur eine Station – aber vielleicht ist es auch der Ort, an dem ich bleiben werde. Ich weiß es nicht. Heimat ist ein Gefühl, das stimmt. Aber Heimat ist für mich auch ein Ort.
Neulich bekam ich Besuch von Freunden aus Frankfurt. Ich verbinde mit Ihnen ein anderes Leben, in einer anderen Stadt. Ihnen meine Heimat zu zeigen hat mir viel bedeutet. Und noch viel schöner war, dass es ihnen hier gefallen hat. Und plötzlich war da dieses Gefühl, dass ich angekommen bin. Vor ein paar Jahren hätte sich das wahrscheinlich noch angefühlt wie versagen. Ich wohne nicht im hippen Berlin, im weltbekannten Hamburg, im schicken München. Nein, aber ich fühle mich an vielen Orten zu Hause. Weil da überall wundervolle Menschen auf mich warten, die ich besuchen kann. Ein kleines Stück Zerrissenheit wird wohl immer bleiben – vor allem wenn ich wieder für ein paar Tage in Berlin war. Dann ist da dieser kleine Funke Wehmut und Sehnsucht. Diese Vorstellung davon, wie anders mein Leben wahrscheinlich wäre, hätte ich mich für ein Leben in Berlin oder Frankfurt entschieden. Manchmal verlaufen die Wege doch anders, als wir es geplant haben. Wenn ich jetzt zurückblicke, hätte der Weg bisher nicht besser verlaufen können. Nämlich hierher in meine Heimat. Meine Heimat im Süden.
Jun 28.2020 / 11:40 am /
Heimat ist da, wo Dein Herz ist. Deine Freunde, egal wo Du bist oder wo sie sind, geben Dir immer auch ein Stückchen Heimat. Mach Dich immer wieder auf und bereise Deine Städte, die Du liebst. Sauge den Puls der Stadt auf, stürze Dich in das Leben der Stadt und kehre gesättig heim. Ein Teil von Dir wird sich immer an diese schöne Zeit erinnern und der andere Teil geniesst die Heimat, das Vertraute, die Gewohnheiten, Sitten und Bräuche. Du bringst aber Neues mit und läsdt es einfliessen in Dich. So entwickeln wir uns weiter, bewegen uns (denn das Leben ist Bewegung) und sehen und spüren auch die heimatliche Welt mit neuen Augen. Unser Blick und Horizont erweitert sich. Würden wir das sonst alles sehen bzw. wahrnehmen? Heimat bleibt immer und wird immer eine Sehnsucht hinterlassen.
Jun 28.2020 / 1:14 pm /
Danke für deine sehr offenen, wertvollen Worte… ich finde mich in ihnen total wieder und es regt zum weiter Nachdenken an 😉 … vor allem um auch mal in das eigene Gefühl von “Heimat” reinzuspüren…