„Menschen sollten immer zuerst ihr Herz fragen, bevor sie sprechen“

Ich möchte euch Laila vorstellen. Zu unserem Treffen für das Interview kommt sie direkt von ihrer Ausbildungsstelle – seit einem Jahr arbeitet sie in einer Zahnarztpraxis. Und das obwohl sie kein Blut sehen kann. Aber dazu später mehr. Wir sitzen in einem Café, draußen. Reden wie gute Freundinnen über die letzten schwierigen Monate durch Corona. Ich freue mich sehr, sie wiederzusehen und noch mehr, dass ich ihre Geschichte erzählen darf.

Laila ist besonders – ihre Geschichte ist besonders. Wie viele andere kam sie im November 2015 mit ihrer Mutter und ihrem Schwager nach Deutschland. Insgesamt drei Wochen war sie auf der Flucht. Eine Woche mussten sie in der Türkei warten, bis sie eines der Boote nach Griechenland nehmen konnten. Ihr Vater sei in Syrien geblieben. Warum? Er will die Heimat nicht verlassen; die Mutter und Tochter müssen alleine fliehen. Eine unglaubliche Vorstellung für mich – ich schaue immer wieder zu Laila, etwas besorgt unser Gespräch könnte sie zu sehr aufwühlen. Aber sie erzählt völlig klar und mit tapferer Stimme. Die Entscheidung Syrien zu verlassen hatte einen bitteren Grund. Laila wurde auf dem Weg zur Schule von einem fremden Mann entführt – die Passanten konnte nichts tun, der Entführer hatte eine Pistole. Es ginge nur um das Lösegeld, welches er von Lailas Familie verlangte. Nach einer Woche konnte ihr Vater das Geld auftreiben und seine Tochter wieder in die Arme schließen. Seit diesem Moment konnte Laila sich nicht mehr sicher fühlen. Wäre sie in ihrer Heimat geblieben, hätte sie das Haus nie mit einem guten Gefühl verlassen können.

Hier in Deutschland habe ich mich endlich wieder sicher gefühlt.

Laila

Das Gefühl, ohne die Angst verfolgt zu werden auf der Straße zu laufen, bedeutete Freiheit. Alles andere war neu & fremd. „Ich dachte mir damals, diese Sprache werde ich niemals lernen“, sagt sie und lacht. Du hast es geschafft, Laila – ich verstehe alles was du sagen möchtest und noch viel mehr. Die Zeit in der Flüchtlingsunterkunft mit vielen Bewohnern aus verschiedenen Ländern wäre hart gewesen. Es war eng, man teilte sich dasselbe Badezimmer und die Küche. Die Sauberkeit der Mitbewohner lies mehr als zu wünschen übrig. Ganz begeistert allerdings war Laila von der Offenheit der Deutschen. „Hier werden wir akzeptiert. Viele Syrer sind nicht so offen untereinander, wie es die Deutschen uns gegenüber sind.“

Ich freue mich, dass sie das sagen kann. Von Herzen wünsche ich ihr, dass sie hier ankommen kann.

Wenn sie über ihre Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten spricht, lacht sie. „Ich kann jetzt sogar fast ohne Probleme Blut sehen“. Ich fasse es nicht – fast ein Jahr ist sie regelmäßig umgekippt beim Anblick von Blut. Durch viel Übung und einen verständnisvollen Chef, hat sie auch dieses Problem überwunden. Schon zu Beginn ihrer Ausbildung hat Laila bewiesen, dass sie wirklich ankommen möchte. Ihr damaliger Chef bat Laila das Kopftuch während der Arbeitszeit in der Praxis abzulegen – es wäre leichter für sie. Der Entschluss das Kopftuch tatsächlich nicht mehr zu tragen, ist ihr nicht schwergefallen.

Ich trage meinen Glauben im Herzen. Er muss nicht von außen sichtbar sein.

Laila

Für ihre Mutter allerdings war es sehr schwer. Sie hatte Angst, ihre Tochter wendet sich von ihrem Glauben ab. Sehr schnell hat sie aber erkannt, dass ihre Tochter auch ohne Kopftuch noch dasselbe zuverlässige, liebenswerte und freundliche Mädchen ist, das sie davor auch schon war. Es wäre wichtig, Deutschland nicht mit der Heimat zu vergleichen, meint Laila. Vielen würde das schwerfallen. Eine andere Kultur, eine andere Religion. Aber es ist einfach notwendig, wenn man ein Leben in einem anderen Land beginnt. „Das allerwichtigste ist aber die Sprache“, sagt Laila, deren größte Angst es war diese niemals zu lernen.

Wenn wir in zehn Jahren hier wieder gemeinsam sitzen, in einem Café an einem Montagabend, wie sieht dann wohl Lailas Leben aus?

Diese Frage stelle ich ihr. Laila muss kurz überlegen. „Ich arbeite auf jeden Fall im medizinischen Bereich, habe eine Weiterbildung gemacht. Vielleicht habe ich dann ein Kind – dann bin ich 33 Jahre alt.“ Ich bin nach diesem Gespräch noch mehr von dieser jungen, bezaubernden Frau beeindruckt. Sie hat ihren Weg gefunden und dafür sehr an sich gearbeitet. Ihr Appell an andere junge Frauen aus Syrien: „Lernen, studieren, eine Arbeit haben – nicht Hausfrau sein.“ Das Leben mit Arbeit ist besser, als nur zu Hause zu sein. Der Kontakt mit anderen habe sie stärker gemacht – von innen. Sie hat gelernt selbstständig ihre Entscheidungen zu treffen – und bisher könnte sie es nicht besser gemacht haben.

Liebe Laila, dein Satz „Menschen sollten immer zuerst ihr Herz fragen, bevor sie sprechen“, hat mich besonders berührt. Du machst das auf jeden Fall. Ich bin wirklich unglaublich stolz auf dich, dass du während unserer gemeinsamen Arbeit so oft bereit warst, deine Entscheidungen zu überdenken und neue Wege zu gehen. Ich wünsche dir und deiner Familie ein friedliches und glückliches Leben. Danke, dass du hier bist!